Richterin bestellt Sachverständigengutachten, die Mutter bestimmt
Ein Erfahrungsbericht eines Vaters aus einem Obsorge- und Kontaktverfahren
Über zwei Jahre musste ein Vater warten, bis das Gericht endlich ein psychologisches Sachverständigengutachten in Auftrag gab. Als es vorliegt, ist die Botschaft klar: Beide Eltern sind erziehungs- und obsorgefähig, Übernachtungen beim Vater können sofort beginnen – Kinder seien in diesem Alter flexibel, ein Start „heute“ wäre möglich.
Bis zur ersten Übernachtung beim Vater vergehen in diesem Fall insgesamt rund dreieinhalb Jahre. Vor der Trennung hatte das Kind regelmäßig viel Zeit mit seinem Vater verbracht und war auch deutlich an ihn gebunden.
Was danach in der Verhandlung passiert, zeigt exemplarisch, wie weit Anspruch und Wirklichkeit im Familienrecht auseinanderklaffen können.
Zwei Jahre bis zum Gutachten – und dann Widerstand
Schon die Beauftragung des Gutachtens erfolgt spät: Erst nach rund zwei Jahren Verfahrensdauer holt das Gericht eine fachliche Einschätzung ein. Als das Gutachten schließlich vorliegt und Übernachtungen ausdrücklich befürwortet, reagiert die Mutter nicht etwa mit Erleichterung, sondern mit einer grundsätzlichen Infragestellung des Sachverständigen – von fehlender Fachkenntnis bis hin zu angeblich nicht erhobenen Fakten.
In der Verhandlung zur „Erörterung des Sachverständigengutachtens“ versucht die Kindesmutter zunächst, das Gutachten zu entwerten:
Der Sachverständige sei fachlich nicht geeignet, habe Fakten nicht erhoben und schlecht gearbeitet, daher brauche es ein neues Gutachten.
Der Sachverständige bleibt ruhig:
- beide Elternteile: erziehungs- und obsorgefähig
- keine psychische Erkrankung
- Übernachtungen beim Vater: sofort möglich
- Mitteilung an das Kind: maximal einen Tag vorher, Kinder seien hier sehr anpassungsfähig
Trotz dieser klaren Empfehlung gelingt es der Kindesmutter, Zweifel zu säen und auf Zeit zu spielen: Sie spricht von „Vorbereitungszeit“ über mehrere Wochen, von angeblicher Angst des Kindes und von umfangreichen Risiken – alles Punkte, die im Gutachten so nicht bestätigt werden.
Wenn „Kindeswohl“ zum Argument für Verschleppung wird
Die Richterin betont zu Beginn, das Kindeswohl stehe an erster Stelle, Loyalitätskonflikte seien zu vermeiden, beide Eltern hätten sich an das Wohlverhaltensgebot zu halten. In der Praxis bedeutet das in dieser Verhandlung allerdings vor allem eines:
Die Kindesmutter erhält sehr viel Raum für ihre Sorgen und Befürchtungen – selbst dort, wo sie durch das Gutachten relativiert oder widerlegt ist.
Der Vater schildert, dass viele der von der Kindesmutter behaupteten Situationen so nie stattgefunden hätten, und verweist auf Zeuginnen und schriftliche Kommunikation. Der Sachverständige berichtet aus der Interaktionsbeobachtung, dass das Kind aktiv den Kontakt zum Vater sucht und sich bei ihm sichtbar wohlfühlt.
Trotzdem setzt sich eine Dynamik durch, in der vor allem eines passiert: Übernachtungen werden weiter nach hinten verschoben, Bedingungen werden komplizierter, aus „sofort“ wird „in zwei Wochen“ und dann ein stufenweises Modell mit vielen Diskussionen um Details.
„Einigung“ unter Druck
Der entscheidende Moment in der Verhandlung:
Die Richterin teilt den Eltern mit, dass es heute eine Einigung über die Übernachtungen geben solle. Wenn keine Einigung zustande komme, würde ein neues Beweisverfahren eröffnet – und während dieses Beweisverfahrens gäbe es keine Übernachtungen beim Vater.
Für den betroffenen Vater fühlt sich das wie massiver Druck an:
- Entweder er stimmt den – aus seiner Sicht – stark einschränkenden Vorstellungen der Kindesmutter zu
- oder er riskiert, dass für Monate wieder gar keine Übernachtungen stattfinden
Aus Sicht des Vaters wirkt diese Konstellation wie eine faktische Nötigung zur Zustimmung: Entweder er akzeptiert weitgehend die Vorstellungen der Mutter, oder er muss damit rechnen, dass weitere Monate ohne Übernachtungen vergehen. Dass diese drohende „Null-Variante“ offen in den Raum gestellt wird, obwohl ein vom Gericht bestellter Sachverständiger wiederholt einen sofortigen Beginn empfiehlt, wirft Fragen nach der tatsächlichen Rolle fachlicher Gutachten im Verfahren auf.
Rechtlich ist diese Formulierung später kaum angreifbar, weil solche „informellen“ Aussagen in der Regel nicht protokolliert werden. Faktisch stellt sie aber eine enorme Machtasymmetrie her: Wer die Beziehung zum Kind dringend wieder herstellen möchte, hat wenig Spielraum, sich gegen unausgewogene Vorschläge zu wehren.
Der Vater entscheidet sich – aus Sorge um die Beziehung zu seinem Kind – letztlich dafür, dem Modell der Kindesmutter zuzustimmen, um überhaupt einen Einstieg in regelmäßige Nächtigungen zu erreichen.
Der Fall in Zahlen
– 3,5 Jahre vom Beginn des Verfahrens bis zur ersten Übernachtung beim Vater
– rund 2 Jahre bis zur Beauftragung eines Gutachtens
– klares Gutachten zugunsten sofortiger Übernachtungen
– trotzdem weitere Verzögerung und gestufter Einstieg, weil Bedenken der Mutter mehr Gewicht erhalten als die Empfehlung des Sachverständigen
Was dieser Fall zeigt
Aus der Sicht des Vaters lassen sich aus diesem Ablauf mehrere strukturelle Probleme ablesen:
- Verzögerungen bis zum Gutachten
Zwei Jahre bis zur Beauftragung eines Gutachtens sind im Leben eines kleinen Kindes sehr lang. In dieser Zeit können sich Verhaltensmuster und Entfremdungsdynamiken verfestigen. - Gutachten haben faktisch weniger Gewicht als die lauteste Sorge
Auch wenn der Sachverständige Übernachtungen ausdrücklich empfiehlt, können Ängste und Behauptungen eines Elternteils dazu führen, dass Gerichte extrem vorsichtig agieren – zu Lasten der Beziehungskontinuität mit dem anderen Elternteil. - „Einigung“ ist nicht immer freiwillig
Wenn klar kommuniziert wird, dass ohne Einigung ein Beweisverfahren droht, in dem es keinen Kontakt gibt, entsteht eine Drucksituation, in der „Zustimmung“ oft nur noch formell freiwillig ist. - Kindeswohl vs. Verfahrenslogik
Aus Sicht der Fachleute wäre ein rascher Beginn von Übernachtungen kindeswohlförderlich gewesen. Die verfahrensstrategische Logik – Konflikte befrieden, neue Gutachten vermeiden, „Einigung“ erzielen – gewinnt am Ende die Oberhand. - Ungleiche Behandlung von Behauptungen
Im geschilderten Verfahren werden Behauptungen der Mutter – etwa zur angeblichen Angst des Kindes oder zu angeblichen Vorfällen – zwar nicht nachweislich belegt, prägen aber dennoch maßgeblich die Verhandlungsdynamik. Der Vater berichtet demgegenüber, dass entlastende Beobachtungen und Widersprüche (inklusive Zeugin) kaum aufgegriffen und vielfach nicht einmal protokollarisch abgesichert werden. Für Betroffene entsteht so der Eindruck, dass die Glaubwürdigkeit der Elternteile sehr unterschiedlich gewichtet wird.
Warum solche Berichte wichtig sind
Dieser Erfahrungsbericht ist kein Einzelfall, sondern reiht sich in zahlreiche Rückmeldungen von Müttern und Vätern ein, die Verfahren als zäh, intransparent und stark von individuellen Einschätzungen einzelner Richter:innen abhängig erleben.
Er zeigt, wie dringend:
- beschleunigte und klar strukturierte Verfahren,
- eine konsequente Umsetzung der Empfehlungen in Gutachten
- und transparente, überprüfbare Entscheidungsprozesse
gebraucht werden – damit das, was auf dem Papier als „Kindeswohlorientierung“ formuliert ist, auch im Alltag der Familien ankommt.
Solche Berichte sollen nicht pauschal Gerichte oder einzelne Professionist:innen diskreditieren. Sie zeigen aber, wie leicht sich Verfahrenslogik und Machtungleichgewichte zwischen den Elternteilen gegen Beziehungskontinuität und Gleichverantwortung wenden können – selbst dann, wenn ein fachliches Gutachten eigentlich eine klare Sprache spricht.
Wenn sich Betroffene nach Jahren des Verfahrens mit dem Gefühl zurückziehen, dass ihre Sicht systematisch weniger Gewicht hatte als jene des anderen Elternteils, leidet nicht nur das Vertrauen in die eigene Entscheidung, sondern auch in die Unparteilichkeit des Systems insgesamt. Gerade deshalb braucht es transparente, überprüfbare Abläufe – und eine Kultur, in der fachliche Gutachten und dokumentierte Fakten mehr zählen als die lauteste Sorge.
