Klischee statt Analyse – Leserbrief zur profil Titelgeschichte „Vater Mutter Kind“
Mit Anerkennung haben wir zur Kenntnis genommen, dass die profil-Redaktion ein lange verdrängtes Thema auf die Titelseite gehoben hat: das Leid vieler Väter, die nach einer Trennung den Kontakt zu ihren Kindern verlieren. Es ist wichtig, dass diese Realität sichtbar gemacht wird.
Umso bedauerlicher ist es jedoch, dass diese Problematik zwar gezeigt, aber kaum in ihren strukturellen Ursachen analysiert wurde – etwa in Bezug auf rechtliche Rahmenbedingungen oder institutionelle Hürden.
Als eine der aktivsten zivilgesellschaftlichen Plattformen für gleichberechtigte Elternschaft in Österreich hätten wir es zudem begrüßt, wenn auch Wir Väter als differenzierende Stimme zur Väterperspektive einbezogen worden wären. Stattdessen wurde einzig auf den laut Vereinsregister seit März 2024 inaktiven Verein „Väter ohne Rechte“ verwiesen und die gesamte Väterbewegung in ein frauenfeindliches Eck gerückt (siehe hierzu auch unser Konflikt mit der FEM.A und „Väterrechtlich engagiert, aber nicht rechts“ – ein offener Brief zur Differenzierung).
Ja, wie bei Frauenorganisationen gibt es auch innerhalb der Väterlandschaft unterschiedliche Strömungen. Aber: Wir Väter stehen für ein gleichstellungsorientiertes, konstruktives Engagement, das auf Kooperation, Gewaltfreiheit und nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel setzt. Unsere Plattform informiert jährlich tausende betroffene Mütter und Väter, die sich faire Lösungen für ihre Kinder wünschen.
Der profil-Artikel blendet europäische Entwicklungen aus, in denen gemeinsame Elternschaft nach Trennung längst erfolgreich umgesetzt wird – wissenschaftlich belegt, einstimmig durch den Europarat empfohlen und gesetzlich verankert. Es wäre wünschenswert gewesen, auch diese Perspektiven in die Berichterstattung einzubeziehen. Ist es für die Alpenrepublik wirklich ein Ruhmesblatt, im Gegensatz zu Frankreich, Belgien, Dänemark, Schweden, Tschechien und jüngst auch der Schweiz die Geschlechterrollen klischeehaft und archaisch aufrecht zu erhalten? Besonders irritierend ist, dass das Modell der Doppelresidenz fast ausschließlich als Versuch dargestellt wird, sich vor Unterhaltszahlungen zu drücken – und nicht als das betrachtet, was es in vielen Ländern längst ist: ein chancengerechter Weg, die Verantwortung beider Eltern nach einer Trennung kindgerecht zu teilen.
Fakt ist: In Österreich verlieren laut der Unterhaltsbefragung der Statistik Austria nach einer Trennung 20 % der Väter und deren Kinder dauerhaft den Kontakt zueinander – nicht, weil sie es so wollen, sondern weil systemische Hürden bestehen. Das Kindeswohl wird dabei oft politisch instrumentalisiert anstatt es durch gelebte gemeinsame Elternschaft abzusichern. Die Reform des Familienrechts 2013 war ein notwendiger Schritt, um Diskriminierung nicht obsorgeberechtigter Elternteile zu beenden – ausgelöst durch ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich.
Aussagen wie jene von Rechtsanwältin Helene Klaar, die die Zeit vor der Familienrechtsreform 2013 verklären – als Mütter allein über die Obsorge entscheiden konnten und Väter nicht einmal antragsberechtigt waren – sind rechtlich problematisch und gesellschaftlich rückwärtsgewandt. Die damalige Regelung wurde vom Europäischen Gerichtshof wegen Diskriminierung gerügt. Wer solche Zustände zurückwill, stellt nicht das Kindeswohl in den Mittelpunkt, sondern alte Machtverhältnisse.
Der profil-Artikel bringt wohl unbeabsichtigt Wesentliches ans Licht: Er entlarvt eine rückwärtsgewandte Sichtweise, in der Elternrollen noch immer als Revierkämpfe verstanden werden – statt als gemeinsame Verantwortung für das Kind.
Es ist an der Zeit für eine offene, lösungsorientierte Debatte. Wir Väter setzen uns u. a. für folgende Maßnahmen ein:
- Konsequenter Gewaltschutz für Kinder und betreuende Elternteile – ohne Kooperationszwang mit einem Gewalt ausübenden Elternteil
- Gesetzliche Verankerung der gleichteiligen Doppelresidenz als Ausgangspunkt für Politik und Rechtsprechung nach einer Trennung/Scheidung
- Mindestens 10 Tage Betreuungszeit pro Monat für getrennte/geschiedene Väter und deren effektive Durchsetzung
- Gemeinsame Obsorge ab Anerkennung der Vaterschaft
- Verfahrensbeschleunigung bei Sorgerechtskonflikten durch z. B. abfedernde, verpflichtende Mediation (mit Ausnahmen bei Gewalt, Missbrauch oder Hochrisiko-Konflikten)
- Abschaffung des Verschuldensprinzips bei Scheidungen
- Fachspezifische Fortbildungen für alle in den Trennungsprozess involvierten Berufe, orientiert an den Bedürfnissen moderner Familienmodelle
- sowie verbesserte Rahmenbedingungen für aktive Vaterschaft (Karenz, Arbeitszeitmodelle, Kinderbetreuung)
Gleichstellung bedeutet, beiden Elternteilen faire Verantwortung zu ermöglichen – und nicht, Väterinitiativen pauschal als frauenfeindlich abzuwerten. Denn letztlich schadet das vor allem den Kindern.
Wir wünschen uns von der profil Redaktion, bei künftiger Berichterstattung auf ein breiteres, differenzierteres Bild zurückzugreifen. Für Gespräche, Hintergrundanalysen oder Podien stehen wir gerne zur Verfügung.
Es braucht einen neuen Dialog jenseits alter Klischees.
Robert Seyfriedsberger
stellvertretend für Wir Väter