EGMR verurteilt Untätigkeit des Staates bei Eltern-Kind-Entfremdung
Die nationalen Behörden müssen schnelle und wirksame Maßnahmen ergreifen, um Eltern-Kind-Kontakte zu sichern. Wenn nicht, kann man sich auch an den EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) wenden.
Dieser hat nun nach Italien, Moldawien, Bulgarien und der Ukraine auch die Slowakei für deren Untätigkeit im Falle einer Eltern-Kind-Entfremdung verurteilt. In seiner Entscheidung gegen Moldawien hatte der EGMR Eltern-Kind-Entfremdung klar auch als Gewalt gegen das Kind anerkannt.
Im neuesten Fall sieht eine slowakische Mutter ihr Kind über Jahre nicht. Die Gerichte beschließen ein Kontaktrecht. Der Vater aber verweigert dies. Das Gericht tut nichts, um eigene Beschlüsse durchzusetzen, verstößt damit gegen Artikel 8 der EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) und wird vom EGMR verurteilt. Zudem bekommt die Mutter Schadenersatzzahlungen zugesprochen.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Österreich verurteilt werden wird. Auch hierzulande werden Beschlüsse teils jahrelang hinausgezögert oder nicht durchgesetzt. Dem Verein „Wir Väter“ sind viele Fälle bekannt. Das Bundesministerium für Justiz aber gibt die Linie aus: „Sanktionen/Beugestrafen gegen einen Elternteil (i.d.R. gegen die Mutter), landen letztlich nur auf dem Rücken der Kinder“. Dass die Kinder damit gleichzeitig den Kontakt zu ihren (i.d.R.) Vätern verlieren, kümmert das Ministerium nicht. Der generalpräventive Aspekt von Rechtsprechung wird ins Gegenteil pervertiert. Die Botschaft: „Verweigere einfach, es wird keine Konsequenzen geben.“ Recht wird zu totem Recht.
Die Folgen: Kinder, denen der Kontakt ungerechtfertigterweise zum (i.d.R.) Vater verweigert wird, kommen in massive Loyalitätskonflikte, müssen das positive Bild, ihre eigenen Erinnerungen an ihn auslöschen, müssen aus Gut Böse machen und verlieren ihre Väter nicht selten für ihr ganzes Leben – mit oft massiven Persönlichkeitsentwicklungsstörungen als Folge.
Für die Justiz, in ihrer patriarchal geprägten Vorstellungswelt, scheint die Mutter-Kind-Beziehung in viel zu vielen Fällen aber unangreifbar (zur Ehrenrettung einiger Richter:innen sei an dieser Stelle erwähnt, dass sie dem durchaus erfolgreich etwas entgegensetzen). In den meisten Fällen der Eltern-Kind-Entfremdung aber führt es zu einer Lähmung des ganzen Justizapparates, mit jahrelangen Verfahren, vielen Gutachten und extremen Kosten für den Staat.
Wichtig in diesem Zusammenhang: es geht uns nicht darum, dass in erster Linie die „Keule Beugestrafen“ ausgepackt wird. Es geht vor allem darum, schnell festzustellen ob eine Gefährdung vorliegt. Wenn nein, müssen Kontakte zum zweiten Elternteil (i.d.R. zum Vater) schnell wieder sichergestellt werden, Eltern zu Erziehungsberatungen gezwungen werden – mit Konsequenzen, wenn sie diese verweigern. In Schweden hat Kontaktverhinderung zur Folge, dass dem verweigernden Elternteil das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen und auf den anderen übertragen wird. In Österreich bleibt es ohne Konsequenzen für den destruktiven Elternteil (nicht selten mit einer Persönlichkeitsstörung im Hintergrund).
Das Gesetz räumt in Österreich der Kontinuität von Kontakten zu beiden Elternteilen einen wichtigen Stellenwert ein. Ein Recht aber, dass nicht durchgesetzt wird, ist totes Recht.
Anton Pototschnig
Obmann „Wir Väter“
# Auf hochstrittig.org können Sie weitere Detail zur Entscheidung des EGMR nachlesen.
# Einen kurzen Überblick gleich im Anschluss von Ian Maxwell am 12. Februar 2024
„… der Lauf der Zeit kann unheilbare Folgen für die Beziehungen zwischen dem Kind und dem Elternteil haben, der nicht mit dem Kind zusammenlebt.“
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte.
Auszug aus dem Bericht (deutsche Übersetzung)
https://www.sharedparenting.scot/delays-in-enforcement-of-a-contact-order-violated-article-8-of-echr/
In einem wichtigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurde in diesem Monat festgestellt, dass die slowakische Justiz zu lange gebraucht hat, um eine Anordnung zum Umgang zwischen einer Mutter und ihrem Sohn durchzusetzen, und damit gegen ihre Rechte im Sinne von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen hat.
Die Mutter, die den Fall vorbrachte, hatte ihren 10-jährigen Sohn in fünf Jahren nur einmal gesehen, obwohl ein Gericht 2018 entschieden hatte, dass sie ihren Sohn an Wochenenden und in den Ferien ohne die Anwesenheit des Vaters sehen darf. Gegen diese Anordnung hatte der Vater zweimal Berufung eingelegt, sie war jedoch 2022 vom slowakischen Regionalgericht und 2023 vom obersten slowakischen Gericht bestätigt worden.
In seinem Urteil vom 8. Februar 2024 (JANOČKOVÁ UND KVOCERA/SLOWAKEI) kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass “die von den slowakischen Gerichten getroffenen Maßnahmen nicht so angemessen und wirksam waren, wie es unter den Umständen des Falles zur Erleichterung der Zusammenführung der Antragsteller vernünftigerweise zu erwarten gewesen wäre.”
Der Gerichtshof stellte fest (Rn. 42): “… In Bezug auf die Verpflichtung des Staates, positive Maßnahmen zu ergreifen, beinhaltet Artikel 8 für Eltern ein Recht darauf, dass Schritte unternommen werden, um sie mit ihren Kindern zusammenzuführen, und eine Verpflichtung der nationalen Behörden, solche Zusammenführungen zu erleichtern.
Dies gilt nicht nur für Fälle, in denen Kinder zwangsweise in öffentliche Obhut genommen werden und Betreuungsmaßnahmen durchgeführt werden, sondern auch für Fälle, in denen es zwischen den Eltern und/oder anderen Familienmitgliedern der Kinder zu Streitigkeiten über den Umgang und den Aufenthalt der Kinder kommt”.In dem Urteil heißt es: “Entscheidend ist, ob die nationalen Behörden alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, um die Vollstreckung einer Anordnung zur Regelung des Umgangs zu erleichtern, die unter den besonderen Umständen des Einzelfalls vernünftigerweise verlangt werden kann.”
“In diesem Zusammenhang ist die Angemessenheit einer Maßnahme an der Schnelligkeit ihrer Umsetzung zu messen, da der Zeitablauf unabänderliche Folgen für die Beziehungen zwischen dem Kind und dem Elternteil haben kann, der nicht mit dem Kind zusammenlebt.”
Das slowakische Zivilgesetzbuch sieht vor, dass die Vorstufe des Verfahrens (d. h. die Anordnung des Umgangs) innerhalb von sechs Monaten nach dessen Beginn abgeschlossen sein muss. Sobald die Vollstreckung angeordnet ist, können Maßnahmen ergriffen werden, um die freiwillige Befolgung sicherzustellen, andernfalls folgt die Zwangsvollstreckung. Diese Vollstreckung fand nicht statt.
Der Europäische Gerichtshof entschied daher, dass ein Verstoß gegen Artikel 8 (Recht auf Achtung des Familienlebens) und Artikel 13 (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem nationalen Gericht) vorlag. Der Mutter und dem Kind wurden jeweils 5000 Euro Schadenersatz zugesprochen.
Dieses Urteil kann vor schottischen Gerichten angeführt werden, um die Bedeutung einer zügigen Entscheidungsfindung in Fällen des Umgangs mit Kindern zu untermauern und um zu argumentieren, dass das Gericht wirksame Schritte zur Durchsetzung solcher Gerichtsbeschlüsse unternehmen muss.
Obwohl das schottische Kindergesetz (Children (Scotland) Act 2020) keine festen Fristen für Umgangsentscheidungen enthält, heißt es in Abschnitt 30: “Bei der Abwägung des Kindeswohls hat das Gericht jede Gefahr einer Beeinträchtigung des Kindeswohls zu berücksichtigen, die eine Verzögerung des Verfahrens mit sich bringen würde.”
Ian Maxwell