Scheidung ohne Schuld: Care-Arbeit teilen, Altersarmut vermeiden
Am 17. November fand im Parlament eine Podiumsdiskussion zur geplanten Reform des Scheidungsrechts statt. Neben Vertreter:innen aus Justiz, Anwaltskammer und Wissenschaft waren auch Vertreter von Wir Väter im Publikum – mit der Perspektive aus der Praxis, wie sich das geltende Recht auf Kinder und getrennte Eltern auswirkt.
Die Diskussion zeigte: Es gibt breite Zustimmung dazu, Scheidungen zu entlasten und weg vom Schuldprozess zu kommen. Gleichzeitig blieb vieles offen, was für Kinder, Care-Arbeit und Altersarmut entscheidend ist.
Worum es im Parlament ging
Im Zentrum standen zwei Themen:
- Wie kann man sich scheiden lassen?
Diskutiert wurden Modelle von einer modernisierten Zerrüttungsscheidung bis hin zu skandinavischen Varianten, bei denen eine einseitige Erklärung plus „Cooling-off-Phase“ genügt. Ziel: weniger „Schmutzwäschewaschen“, weniger Beweisprozesse über Verschulden. - Wie soll der Unterhalt nach der Ehe aussehen?
Das Regierungsprogramm will den nachehelichen Unterhalt vom Verschulden lösen und stärker am Bedarf ausrichten. Dabei soll die Rollen- und Aufgabenverteilung während der Ehe berücksichtigt werden – insbesondere, wer Erwerbsarbeit zurückgestellt hat, um Kinder, Haushalt oder Angehörige zu betreuen.
Mehrere Stimmen kritisierten die heutige Praxis als überkomplex, schwer vorhersehbar und für viele Betroffene abschreckend. Einig war man sich, dass langwierige Schuldverfahren enorm belastend sind – auch und gerade für Kinder.
Was wir positiv sehen
Aus Sicht von Wir Väter sind drei Weichenstellungen richtig:
1. Weg vom Schuldtribunal
Die Einsicht, dass Scheidungsverfahren nicht als moralische Abrechnung dienen sollten, sondern helfen müssen, das Leben neu zu ordnen, ist zentral. Weniger Fokus auf „Wer ist schuld?“ bedeutet auch weniger Eskalation.
2. Anerkennung von Care-Arbeit
Positiv ist, dass Betreuungsarbeit – Kinder, Pflege, Haushalt – ausdrücklich als Grundlage für Unterhaltsansprüche genannt wurde. Wer für gemeinsame Kinder beruflich zurücksteckt, darf nach der Trennung nicht in die finanzielle Sackgasse geschickt werden.
3. Wunsch nach einfacheren, berechenbaren Regeln
Auch am Podium wurde klar benannt: Je stärker man auf Einzelfallgerechtigkeit setzt, desto länger und teurer werden Verfahren – und desto unsicherer ist das Ergebnis. Einfachere, klar kalkulierbare Modelle sind im Interesse aller Beteiligten.
Damit sind wichtige Punkte angesprochen. Aber gerade bei Care-Arbeit und Altersarmut greift der aktuelle Diskurs noch zu kurz.
Der blinde Fleck: Care-Arbeit beider Eltern und Altersarmut
Auffällig an der Diskussion war, dass Care-Arbeit fast ausschließlich im klassischen Bild gedacht wurde: eine Person (meist die Mutter) betreut, die andere (meist der Vater) verdient.
Die Realität ist komplexer:
- Immer mehr Mütter wollen finanzielle Eigenständigkeit, nicht lebenslange Abhängigkeit vom Ex-Partner.
- Immer mehr Väter übernehmen relevante Betreuungsanteile, reduzieren Erwerbsarbeit, gehen in Karenz oder arbeiten Teilzeit.
- In Doppelresidenz-Konstellationen tragen beide Eltern care-bedingte Einbußen – weniger Einkommen, instabile Karrieren, geringere Pension.
Wenn die Reform nur dieses alte Muster absichert, passiert Folgendes:
- Care-Arbeit wird weiterhin als „Leistung eines Elternteils“ gedacht – statt als gemeinsame Verantwortung.
- Altersarmut bleibt hoch relevant: heute vor allem für Frauen, künftig aber auch für Väter, die Care ernsthaft übernehmen.
- Doppelresidenz und gleichteilige Betreuung werden faktisch bestraft, wenn das Unterhalts- und Pensionsrecht diese Konstellationen nicht sauber abbildet.
Kurz gesagt:
Wer Care-Arbeit nicht als gemeinsames Projekt beider Eltern denkt, produziert Altersarmut – unabhängig vom Geschlecht.
Was es aus unserer Sicht braucht
Damit die Reform tatsächlich entlastet und nicht neue Ungerechtigkeiten schafft, braucht es ein Gesamtpaket:
1. Verschuldensprinzip beim Unterhalt konsequent ablösen
- Unterhalt soll sich an Bedarf, Leistungsfähigkeit und tatsächlicher Care-Verteilung orientieren – nicht daran, wer im Verfahren „schuldiger“ wirkt.
- „Schweres Verschulden“ sollte auf wenige Ausnahmefälle (z.B. schwere Gewalt) beschränkt bleiben, ohne das System insgesamt wieder in Schuldlogik zurückzuziehen.
2. Doppelresidenz und Beziehungskontinuität mitdenken
- Kinder brauchen Stabilität und Beziehung zu beiden Eltern – auch nach der Trennung.
- Doppelresidenz und substanziell geteilte Betreuung dürfen nicht länger ein Sonderfall sein, den das Gesetz nur am Rand kennt.
- Unterhalt, Steuer- und Sozialrecht müssen so gestaltet sein, dass gemeinsame Care-Verantwortung nicht zum finanziellen Risiko für den Elternteil wird, der mehr Verantwortung übernimmt – egal ob Mutter oder Vater.
3. Fairer Ausgleich für Care-bedingte Nachteile – statt Dauerabhängigkeit
- Wo ein Elternteil – Mutter oder Vater – wegen Care-Arbeit klare, belegbare Nachteile bei Einkommen und Pension hat, braucht es zeitlich befristete, transparente Ausgleichsmechanismen (z.B. temporärer Einkommensausgleich).
- Pensionssplitting muss konsequent weiterentwickelt werden: Altersarmut aufgrund gemeinsam gewollter Rollenaufteilung ist kein individuelles Versagen, sondern ein Konstruktionsfehler im System.
4. Verfahrensrecht: schnell, kindzentriert, deeskalierend
- Familiengerichte brauchen Rahmenbedingungen für frühzeitige Mediation und Beratung – ohne dass die schwächere Seite dadurch auf Rechte verzichtet.
- Kontakt- und Obsorgefragen müssen rasch, klar und vollstreckbar geregelt werden.
- Information ist zentral: Menschen sollten früh wissen, was Ehe, Lebensgemeinschaft und Trennung rechtlich bedeuten – idealerweise schon in der Schule und vor Eheschluss.
Fazit: Chance zur echten Modernisierung
Die Podiumsdiskussion am 17. November hat gezeigt:
Niemand verteidigt ernsthaft mehr die Idee der Scheidung als jahrelangen Schuldprozess. Der Wille zur Entlastung, Bedarfsunterhalt und Anerkennung von Care-Arbeit ist da.
Jetzt kommt es darauf an, den entscheidenden Schritt weiterzugehen:
- Scheidung ohne Schuld – aber mit Verantwortung beider Eltern.
- Care-Arbeit gerecht verteilen – und Altersarmut vermeiden, für Mütter wie für Väter.
- Unterhalt, Kindschaftsrecht und Pensionsrecht gemeinsam denken – statt nur eine Schraube zu drehen.
Wir werden die Arbeiten der neuen Regierungs-Arbeitsgruppe ab Dezember kritisch-konstruktiv begleiten – mit einem klaren Ziel: ein Scheidungsrecht, das Kinderbeziehungen schützt, Care-Arbeit beider Eltern ernst nimmt und Altersarmut nicht länger als Kollateralschaden hinnimmt.
