Rückführung eines Kindes nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen
6Ob130/25y — OGH am 10.09.2025
| Sachverhalt: Der Antragsteller, ein Schweizer Staatsbürger, und die Antragsgegnerin, eine deutsche Staatsbürgerin, sind die Eltern der minderjährigen K*. Die Eltern lebten bis Oktober 2023 in der Schweiz, bevor die Antragsgegnerin mit der Minderjährigen nach Österreich reiste und dort blieb. Trotz einer Verpflichtungserklärung, die Minderjährige bis Februar 2024 in die Schweiz zurückzuführen, kehrte die Antragsgegnerin nicht dauerhaft zurück. Im Juli 2024 wurde die Rückführung der Minderjährigen in die Schweiz gerichtlich angeordnet und vollzogen. Die KESB legte eine gemeinsame Sorge fest, die Antragsgegnerin weigerte sich jedoch ab Oktober 2024, die Minderjährige zum Antragsteller zu bringen. Der Antragsteller konnte die Minderjährige nicht abholen, da die Antragsgegnerin die Übergabe verweigerte. Das Erstgericht wies den Rückführungsantrag ab, das Rekursgericht gab ihm statt. Der OGH stellte fest, dass die Minderjährige vor dem Zurückhalten einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hatte und die Weigerung der Antragsgegnerin eine Kindesentführung im Sinne des HKÜ darstellt.Spruch: Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.Rechtliche Beurteilung:Das Rekursgericht bestätigte die Anwendung des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) und ordnete die Rückführung der Minderjährigen in die Schweiz an. Der Oberste Gerichtshof verwies auf die ständige Rechtsprechung zur Auslegung des gewöhnlichen Aufenthalts nach Art 3 HKÜ.Unter Berufung auf die Entscheidungen 6 Ob 26/12k und 6 Ob 152/17x stellte der OGH fest, dass das Ziel des HKÜ die sofortige Rückgabe widerrechtlich verbrachter oder zurückgehaltener Kinder in den Staat des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts ist. Maßgeblich sei dabei der Aufenthalt unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten, wobei auf die EuGH-Entscheidung ECLI:EU:C:2017:436, C-111/17 sowie die Fachliteratur von Nademleinsky in Gitschthaler, IFR Art 3 HKÜ Rz 21 und Hausmann, IntEuFamR³ Art 4 HKÜ Rn U 149 verwiesen wurde.Zur Definition des gewöhnlichen Aufenthalts führte der OGH die Rechtssatzsammlung RS0126369 an und verwies auf Weber, Der gewöhnliche Aufenthalt in der Rechtsprechung von EuGH und OGH, EF-Z 2019, 196. Demnach ist der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes der Ort, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration darstellt. Hierfür seien insbesondere Dauer, Regelmäßigkeit und Umstände des Aufenthalts, Gründe für den Aufenthalt, Staatsangehörigkeit, Einschulung, Sprachkenntnisse sowie familiäre und soziale Bindungen zu berücksichtigen.Das Gericht bestätigte, dass die Minderjährige unmittelbar vor dem Zurückhalten Ende Oktober 2024 über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz verfügte, da sie nach der Rückführung im Juli 2024 über einen maßgeblichen Teil der Woche beim Antragsteller aufhältig war und dort regelmäßige Sozialkontakte pflegte.Bezüglich der rechtlichen Grundlage verwies der OGH auf Art 301a Abs 2 lit a Schweizer Zivilgesetzbuch in Verbindung mit Art 3 lit a iVm Art 5 lit a HKÜ, wonach bei gemeinsamer Sorge ein Aufenthaltswechsel ins Ausland der Zustimmung des anderen Elternteils oder einer gerichtlichen Entscheidung bedarf. Die dauerhafte Weigerung der Antragsgegnerin, die Minderjährige entsprechend der Entscheidung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde zu übergeben, stelle eine Kindesentführung im Sinne von Art 3 HKÜ dar. |
Zitierte Normen: § 62 Abs. 1 AußStrG · AußStrG · § 71 Abs. 3 AußStrG
