Die Doppelresidenz – Prototyp eines kapitalistisch, patriarchalen Leistungsmodells?
Folgt man den Erläuterungen Krucsays im Standardinterview vom 13.10.2023 kann es schon passieren, dass man die Hand vom Kopf, welche denselben ständig kratzen will, nicht loskriegt. Ein Konglomerat an haarsträubenden Theorien, Verdrehungen und Unterstellungen zielen darauf ab, die Doppelresidenz als Instrument eines antifeministisch-kapitalistischen Regimes darzustellen, mit einer unheilvollen Allianz verirrter Linker und konservativ-reaktionärer Väterrechtler als blinde Helfer.
Die Doppelresidenz wird von Krucsay zu einem Hochleistungsprojekt mystifiziert, dass sich die Balken biegen. Als Voraussetzung für die Umsetzung derselben nennt sie „permanente Selbstdisziplinierung“, orientiert an zu „optimierenden Effizienzkriterien“, mit dem Ziel der „maximalen Flexibilisierung”. Doppelresidenz als „Training“ der Kinder für eine moderne Arbeitswelt. Na bumm.
Als jemand, der Doppelresidenz gelebt hat, wähnt man sich in einer Satire. Erlebte man selbst doch die Doppelresidenz in Teilzeitarbeit, mit 4 Wechseln pro Monat (statt – wie im klassischen Modell – mit 8 bis 12) als sehr entspannt und kann sich auch an keinen „Beinbruch“ erinnern, als dem Kind einmal die Schlittschuhe zum anderen Elternteil nachgebracht werden mussten. Im übertragenen Sinne scheint Krucsay überzeugt, zum Drachensteigenlassen, benötige man jedenfalls einen Pilotenschein.
Krucsay identifiziert im Doppelresidenzmodell zudem den ideologisch untermauerten „Mythos der Triade“ und meint damit, dass behauptet werden würde, dass für eine psychisch gesunde Entwicklung eines Kindes, Mutter und Vater unabdingbar wären. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Frage, warum die Bedeutung der Triade und damit auch der, der „Leiblichkeit“ und. „Bindung“ immer nur dann in Zweifel gezogen wird, wenn es um das Verhältnis der Kinder zu ihren Vätern geht, nie aber bei der zu Müttern. Tatsächlich wird dem Vater-Kind-Verhältnis so ein Biologismus unterstellt und dieser in ein konservativ-reaktionäres Eck gestellt. Was bei Müttern normal ist, scheint bei Vätern abwegig.
Was Krucsay nicht realisiert ist, wie sehr sie damit Mütter in ihrer traditionellen Rolle gegenüber dem Kind zementiert. Das wird noch deutlicher denkt man ihre geschichtlich-soziologischen Ausführungen zu Ende. So meint sie: „Man muss schon sehen, dass die Problemstellung der Sorgerechtsstreitigkeiten, zwischen Vätern und Müttern mit der Inklusion der Frauen in den Arbeitsmarkt in den vergangenen fünfzig Jahren aufgekommen ist …(und) …das Flexibilitätsprinzip (hat) das Kontinuitätsprinzip abgelöst…“ Natürlich steckt ihrer Ansicht nach hinter der Doppelresidenz der Markt…denn Kern des Ganzen ist die Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile“.
Was für ein Kuddelmuddel? Krucsay scheint am liebsten das Rad der Zeit um 50 Jahre zurückdrehen zu wollen. War die Welt bevor Frauen in den Arbeitsmarkt integriert wurden, als Mutter und Kind noch vereint und die Doppelresidenz weit weg war, bevor alle einem kapitalistischen Regime zum Opfer fielen, also noch heil, Frau Krucsay?
Nun, man kann das so sehen. Tatsache aber ist, mit der, von Frauen und letztlich der ganzen Gesellschaft angestrebten Gleichstellung und deren Integration in den Arbeitsmarkt, haben sich die Verhältnisse geändert. Mütter arbeiten. Kinder werden zunehmend von Dritten betreut. Väter engagieren sich den Kindern gegenüber, außerhalb ihrer Arbeitszeit, hälftig und wollen nach einer Trennung in ihrer Beziehung zum Kind nicht von 30 Tagen auf 4 (im Regelfall) reduziert werden. Kinder bauen zu beiden Elternteilen gleichermaßen Bindungen auf und Studien belegen eindeutig, dass die Aufrechterhaltung der Beziehung zu beiden Elternteilen der kindlichen Entwicklung förderlich ist.
Krucsay wirbelt aber nicht nur auf eigentümliche Weise gesellschaftspolitische Fragen der Gleichstellung mit kapitalismuskritischen Aspekten durcheinander, mit dem Ziel der Doppelresidenz den Garaus zu machen. Sie scheut auch nicht davor zurück ganze Berufsgruppen zu diffamieren, indem sie ihnen pauschal unterstellt das Kindeswohl dem Paradigma der Beziehungskontinuität zu opfern. Krucsay vermischt – wie alle die um die Vormachtstellung der Mütter ums Kind kämpfen – die Bindungstheorie mit dem Gewaltaspekt und unterstellt Familiengerichtshilfe, Jugendamt und Kinderbeiständen völlig undifferenziert, Besuchskontakte zur Pflicht zu erklären, selbst wenn Gewalt im Spiel sei. Tatsache ist: Kinder erleben durch Eltern – Väter und Mütter gleichermaßen – auch negative Dinge und trotzdem wollen sie nicht von ihnen getrennt werden.
Die entscheidende Frage ist: In welchem Verhältnis stehen Gefährdungsaspekte und das Kontinuitätsbedürfnis zum Elternteil und was kann und muss getan werden, damit die negativen Aspekte reduziert werden? Anders gesagt. Wegen einer Watschn werde ich Eltern und Kind nicht dauerhaft trennen, werde aber trotzdem mit den Eltern an anderen Erziehungsstrategien arbeiten.
Ich arbeite seit über 30 Jahren im Jugendwohlfahrtswesen und weiß, dass Kinder mit teils massiven Gewalterfahrungen durch ihre Mütter, nach kurzen Krisenaufenthalten wieder an dieselben zurückgegeben werden. Noch nie wurde dieses Moment in Frage gestellt. Wird aber über väterliche Gewalt gesprochen, folgt in völlig undifferenzierter Weise unweigerlich die Forderung nach einem völligen Kontaktabbruch. Warum diese ungleiche Sichtweise? Tun Schläge, oder verletzende und herabwürdigende Worte von Müttern, Kindern weniger weh? Sind Mütter egal was sie tun immer besser für das Kind?
Uneingeschränkt Recht gebe ich ihr mit ihrer Kritik an Sorgerechtsverfahren. Betroffene erleben, wie sie beschreibt, tatsächlich einen kafkaesken „Betreuungsmarathon“. Viele Berufsgruppen sind mit der Familie befasst und stehen irgendwie miteinander in Verbindung, ohne dass es eine letztverantwortliche Instanz gibt. Hier gilt es ganz klar einen Ablauf zu etablieren, wo Gefährdungen schnell abgeklärt, Beziehungskontinuität entsprechend geschützt und Verfahren professionell und effizient durchgeführt werden.
Last but noch least möchte ich Krucsays Anliegen unterstützen, dass es an der Zeit ist grundlegende gesellschaftspolitische Überlegungen anzustellen, wie. Wie kann Familie in allen Stadien funktionieren und welche Rahmenbedingungen braucht es dafür? Wie werden bezahlte und unbezahlte Arbeit bewertet? Oder anders, wie wollen wir leben? Welchen Stellenwert geben wir der Pflege von Beziehungen und Fürsorge gegenüber Kindern, aber auch Kranken und Alten und muss das weiterhin mit dem Nachteil der finanziellen Einbuße verknüpft sein? Sollen beide Geschlechter gleiches machen, oder gibt es doch auch unterschiedliche Veranlagungen und Interessen? Wenn ja, wie damit umgehen ohne jemanden zu benachteiligen? Wenn nein, was braucht es dann?
Ungeachtet all dieser Fragen benötigt es der Reform des derzeitigen Kindschaftsrechts, weil es beiden Geschlechtern den gleichberechtigten Zugang zum Kind ermöglicht, ohne jedoch Eltern in ihrer Selbstbestimmtheit einzuschränken.
Wie es aussieht hat die Regierung aber kein Interesse daran. Weder an einem entsprechenden Diskurs darüber und schon gar nicht an einer konkreten gesetzlichen Erneuerung. Offensichtlich scheinen parteipolitische Aspekte über gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten zu stehen!
Anton Pototschnig
Dipl. Sozialarbeiter
Obmann der Initiative „Wir Väter“ und der Plattform „Doppelresidenz“