OGH Entscheidung – Obsorge- und Kontaktrechtsstreit um minderjähriges Kind nach Scheidung der Eltern
10Ob31/25v — OGH am 10.07.2025
| Sachverhalt: Die Eltern des 8-jährigen Kindes wurden 2020 einvernehmlich geschieden und vereinbarten eine gemeinsame Obsorge mit einem Doppelresidenzmodell. Die Mutter plante 2023, mit dem Kind 110 km weit wegzuziehen, was der Vater durch einen Antrag auf alleinige Obsorge verhindern wollte. Die Mutter beantragte die gerichtliche Genehmigung des Umzugs. Das Erstgericht entschied, dass die Obsorge bei beiden Elternteilen bleibt, genehmigte den Umzug und legte die hauptsächliche Betreuung bei der Mutter fest. Der Vater legte dagegen Revisionsrekurs ein, der mangels Darlegung einer erheblichen Rechtsfrage abgewiesen wurde. Die Gerichte betonten, dass das Kindeswohl das entscheidende Kriterium sei und keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 62 AußStrG vorliege.Spruch: Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters wird mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen.Rechtliche Beurteilung:Der Oberste Gerichtshof (OGH) bestätigt in seiner Entscheidung zentrale Grundsätze des österreichischen Kindschaftsrechts. Zunächst betont das Gericht, dass Entscheidungen in Obsorgeangelegenheiten typischerweise Einzelfallentscheidungen sind, denen keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 62 AußStrG zukommt, sofern auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde (RS0115719; RS0007101). Dies gilt insbesondere für Fragen der hauptsächlichen Betreuung bei gemeinsamer Obsorge (RS0115719 [T14]; RS0130918 [T3]).Das Gericht bekräftigt, dass bei der Festlegung der hauptsächlichen Betreuung gemäß § 180 Abs 2 ABGB allein das Kindeswohl als maßgebendes Kriterium heranzuziehen ist, wie dies auch bei der Regelung der Obsorge (RS0048632) und des Kontaktrechts (RS0087024) der Fall ist. Entscheidend ist, welcher Elternteil in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände besser zur Wahrnehmung des Kindeswohls geeignet ist (2 Ob 120/23w Rz 4; 5 Ob 27/24t Rz 8).Hinsichtlich der Frage, ob das Kindeswohl durch eine Übersiedlung gefährdet ist, handelt es sich ebenfalls um eine nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung (RS0048632 [T14]).Der OGH stellt zudem verfahrensrechtliche Grundsätze klar: Im Außerstreitverfahren kann eine vom Rekursgericht verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz im Revisionsrekursverfahren grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden (RS0050037; RS0030748), es sei denn, das Kindeswohl erfordert eine Durchbrechung dieses Grundsatzes (RS0050037 [T1, T4, T8, T9]; RS0030748 [T2, T5, T18]).Auch das Neuerungsverbot gilt im Außerstreitverfahren in dritter Instanz (RS0119918), wobei der Entscheidung die Umstände zum Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz zugrunde zu legen sind (RS0006928). Nur in besonderen Ausnahmefällen können neue Tatsachen berücksichtigt werden, wenn sie erst nach der Beschlussfassung der Vorinstanzen eingetreten sind (RS0122192; RS0048056), jedoch nur wenn es sich um unstrittige und aktenkundige Umstände handelt (RS0048056 [T7]; RS0122192 [T3]) und die bisherige Tatsachengrundlage dadurch wesentlich verändert wird (RS0048056 [T6, T10]).Im konkreten Fall sah der OGH keine Veranlassung, von diesen Grundsätzen abzuweichen und bestätigte die Entscheidung der Vorinstanzen, die hauptsächliche Betreuung bei der Mutter festzulegen, aufgrund ihrer engeren Bindung zum Kind, ihres feinfühligeren Verhaltens in der Interaktion und ihrer Stärken in der emotionalen Unterstützung und Führung des Kindes (vgl. RS0047928 [T6]). |
Zitierte Normen: § 62 Abs. 1 AußStrG · § 162 Abs. 3 ABGB · § 62 AußStrG · § 180 Abs. 2 ABGB
