Starke Vater Identität und klar definierte Elternrollen erhöhen die väterliche Beteiligung nach Trennung – Familienpolitik und Justiz müssen diese Faktoren gezielt fördern
Die Bedeutung aktiver Vaterschaft gehört zu den bestbelegten Ergebnissen der familienwissenschaftlichen Forschung. Zahlreiche Langzeitstudien zeigen, dass Kinder emotional, sozial und kognitiv profitieren, wenn ihre Väter intensiv am Alltags- und Erziehungsleben beteiligt bleiben. Für Gesellschaften, die das Kindeswohl als oberstes Leitprinzip formulieren, ergibt sich daraus ein klarer Auftrag: Alle beteiligten Institutionen – von Familiengerichten bis zu Jugendämtern – sollten darauf hinwirken, die Beteiligung von Vätern zu stärken und nach Trennungen nicht zu schwächen. Die zentrale Frage lautet daher: Welche Bedingungen fördern das Engagement von Vätern, und welche Faktoren behindern es?
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Vateridentität und zum Rollenverständnis
Eine aktuelle Untersuchung in Family Relations bietet hierzu neue Erkenntnisse. Sie zeigt, dass nicht allein rechtliche Rahmenbedingungen oder strukturelle Hürden bestimmen, wie präsent Väter nach einer Trennung bleiben. Entscheidend ist vielmehr die innere Vater-Identität – das eigene Verständnis davon, was es bedeutet, Vater zu sein – sowie die konkreten Rollen, die Männer für sich selbst definieren. Diese Erkenntnis liefert einen wichtigen Baustein, um politische und institutionelle Strategien besser auszurichten.
Herausforderungen der Gegenwart
Trotz der bekannten Vorteile aktiver Vaterschaft spiegeln sich diese Erkenntnisse nur teilweise in den alltäglichen Erfahrungen getrennter Väter wider. Besuchszeiten sind oft begrenzt, Verfahren langwierig, und institutionelle Routinen folgen häufig tradierten Mustern, in denen der Vater eine nachgeordnete Rolle einnimmt. Das führt zu einer paradoxen Situation: Obwohl die Forschung eindeutig belegt, wie wertvoll väterliche Präsenz für die Entwicklung von Kindern ist, begünstigen viele Systeme eher den Rückzug als die aktive Beteiligung.
Die Studie macht deutlich, dass die Herausforderungen nicht allein in äußeren Barrieren liegen. Väter, die ein starkes Selbstverständnis als Elternteil entwickelt haben und ihre Rolle differenziert begreifen – ob als Erzieher, Versorger, emotionale Stütze oder Alltagsbegleiter –, bleiben wesentlich stärker engagiert. Fehlt diese innere Klarheit, steigt die Wahrscheinlichkeit eines schleichenden Rückzugs. Damit wird ein bislang unterschätzter Mechanismus sichtbar: Die innere Struktur der Vaterrolle beeinflusst maßgeblich, ob Engagement trotz widriger Umstände erhalten bleibt.
Was diese Erkenntnisse für die Politik bedeuten
Wenn Forschungsergebnisse konsistent zeigen, dass aktive Vaterschaft Kindern nützt und dass Systeme diese Beteiligung häufig nicht ausreichend ermöglichen, muss sich Politik neu ausrichten. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass eine moderne Familienpolitik nicht nur auf administrative Gerechtigkeit abzielen darf, sondern auf die Stärkung von Vateridentität und Rollenbewusstsein.
Daraus lassen sich zentrale Leitlinien ableiten:
- Beteiligung als politisches Ziel definieren
Gesetzliche Rahmenbedingungen sollten klar den Auftrag formulieren, die Involviertheit von Vätern nach Trennungen zu sichern und zu erhöhen – nicht bloß zu verwalten. - Väter frühzeitig stärken
Beratungsangebote sollten explizit die Entwicklung der Vaterrolle fördern. Je stärker die innere Identität ausgeprägt ist, desto stabiler bleibt das Engagement. - Institutionelle Sensibilisierung
Fachkräfte in Jugendämtern und Familiengerichten sollten systematisch geschult werden, um die nachgewiesenen Vorteile väterlicher Beteiligung in Entscheidungen zu berücksichtigen und stereotype Rollenzuschreibungen zu vermeiden. - Strukturelle Möglichkeiten verbessern
Umgangsregelungen müssen so gestaltet werden, dass sie nicht nur formale Kontaktzeiten festlegen, sondern tatsächliche Mitgestaltung des Alltags ermöglichen. - Öffentliches Bewusstsein stärken
Gesellschaftliche Kommunikation sollte die Vielfalt und Relevanz der Vaterrolle sichtbar machen und damit jene Identitäten fördern, die nachweislich zu stabilem Engagement führen.
Ignorierte psychologische Realität: Wie österreichische Praxis väterliche Identität und Kinderwohl untergräbt
Ein gravierendes Problem besteht darin, dass zentrale psychologische Aspekte väterlicher Identität in Österreich häufig nicht berücksichtigt werden. Viele Fachkräfte in Sozialarbeit und Justiz agieren in der Annahme, dass Einschränkungen, Ausschlüsse oder drastisch reduzierte Kontaktregelungen gegenüber Vätern keine substanzielle Wirkung auf das Kindeswohl hätten. Diese Sichtweise ignoriert, dass die emotionale Verfassung des Vaters, die Stabilität seiner Vaterrolle und seine Möglichkeit, eine authentische Beziehung zu seinem Kind zu leben, unmittelbare Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung besitzen.
Die Forschung zeigt klar, dass Kinder nicht nur von der bloßen Anwesenheit eines Vaters profitieren, sondern insbesondere davon, dass dieser seine Rolle stabil entwickeln und aktiv ausüben kann. Wird die Vaterrolle abgewertet, verhindert oder auf symbolische Funktionen reduziert, entstehen unweigerlich Entwicklungsrisiken – durch Stress, Bindungsverluste und den Wegfall eines zentralen Bezugssystems.
Ein dokumentiertes Beispiel findet sich in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom September 2025 (3Ob91/25s). Die dort festgelegten Bedingungen beschränkten die väterliche Beteiligung auf lediglich 30 bis 60 Minuten Besuchszeit pro Termin – zudem unter Aufsicht. Eine derartige Regelung verhindert jede Form natürlicher Eltern-Kind-Interaktion, erzeugt hohen Stress für beide Seiten und schließt den Vater de facto aus dem gesamten Alltagsleben des Kindes aus. Der Mann erhält keine Möglichkeit, eine tragfähige Vateridentität zu erhalten oder seine Elternrolle auszubauen.
Diese Konstellation zeigt exemplarisch, dass zentrale wissenschaftliche Erkenntnisse über die Bedeutung der Vaterrolle in der österreichischen Familienrechtspraxis oftmals unberücksichtigt bleiben. In zahlreichen Entscheidungen wird weder darauf eingegangen, welche psychologischen Grundbedingungen väterliches Engagement erfordert, noch wird anerkannt, dass das Ignorieren dieser Bedingungen zwangsläufig das Kind trifft. Die öffentlich zugänglichen Dokumente des OGH bestätigen dieses strukturelle Muster: Empirisch abgesicherte Erkenntnisse zur Bedeutung der Vateridentität, zu Rollenstrukturen und zur emotionalen Realität der betroffenen Männer finden kaum Eingang in die Entscheidungsfindung.
Eine verantwortungsvolle Familienpolitik müsste dagegen konsequent anerkennen, dass Väter in ihrer psychologischen Stabilität, Identität und Rollenausübung geschützt und gestärkt werden müssen – nicht aus Rücksicht auf den Vater allein, sondern vor allem im Interesse der Kinder. Nur wenn beide Elternteile in ihren Rollen ernst genommen werden, entstehen Bedingungen, die die kindliche Entwicklung langfristig sichern.
Gleichberechtigte Elternschaft als gemeinsamer gesellschaftlicher Auftrag
Auch wenn strukturelle Defizite im österreichischen Familienrecht väterliche Präsenz nach Trennung häufig erschweren, bleibt die gesellschaftliche Verantwortung nicht allein bei Institutionen. Mütter spielen eine maßgebliche Rolle darin, ob Kinder den Zugang zu beiden Elternteilen behalten. Sie tragen – ebenso wie Väter – Verantwortung dafür, dass die elterlichen Rollen nicht hierarchisiert, sondern als gleichwertige und komplementäre Beiträge zum Kindeswohl verstanden werden. Eine Haltung, die den anderen Elternteil in seiner Bedeutung stärkt, statt ihn zu marginalisieren, wirkt unmittelbar stabilisierend auf die kindliche Entwicklung.
Eine konsequente Unterstützung der Vaterrolle durch Mütter ist dabei kein Akt des Entgegenkommens, sondern Ausdruck einer modernen Auffassung von Elternschaft. Wer die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil schützt, handelt im Interesse des Kindes und fördert zugleich ein Modell gelebter Gleichberechtigung. Gesellschaftliche Veränderungen entstehen nicht durch einseitige Forderungen, sondern durch gemeinsame Verantwortungstragung. Wenn beide Eltern aktiv darauf hinwirken, dass Erziehung, Fürsorge und Alltagsverantwortung partnerschaftlich verteilt werden, kann sich ein kultureller Wandel etablieren, der über das familiäre Umfeld hinausreicht.
Die problematischen Geschlechterrollen, die in Österreich in vielen Bereichen sichtbar sind – von der Aufteilung unbezahlter Care-Arbeit über ungleiche berufliche Entwicklungschancen bis hin zum persistierenden Gender-Pay-Gap – verlieren an Halt, wenn Männer und Frauen gleichermaßen für Gleichstellung einstehen. Die Unterstützung von Vätern in ihrer Elternrolle ist dabei ein zentraler Hebel: Kinder lernen früh, dass beide Geschlechter Verantwortung, Fürsorge und emotionale Nähe gleichermaßen verkörpern können. Dies wirkt langfristig auch auf jene strukturellen Ungleichheiten, die sich etwa in der Entlohnung und Karriereentwicklung widerspiegeln, weil eine gleichmäßig verteilte Care-Arbeit die wirtschaftlichen Nachteile von Frauen reduziert und die aktive Verantwortung von Männern normalisiert.
Mütter leisten daher einen unverzichtbaren Beitrag, wenn sie die aktive Präsenz der Väter ermöglichen, stärken und als selbstverständlichen Bestandteil einer verantwortungsvollen Elternschaft anerkennen. Jede Entscheidung, die auf Kooperation statt Abgrenzung setzt, verbessert nicht nur die unmittelbare Lebensrealität der Kinder, sondern unterstützt gleichzeitig den Weg zu einer gerechteren Gesellschaft, in der Geschlechterrollen nicht begrenzen, sondern entlasten – und in der ökonomische wie soziale Gleichstellung realisierbar wird.
Dringender Handlungsbedarf: Vateridentität und Vaterrollen müssen sofort geschützt und gestärkt werden
Auch wenn Väter Unterstützung benötigen, um ihre Vateridentität aufzubauen oder aufrechtzuerhalten, oder wenn sie Hilfe brauchen, um ihre Verantwortlichkeiten innerhalb ihrer Vaterrollen klar zu verstehen und wahrzunehmen, bleibt diese Unterstützung eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Sie ist kein Gefallen gegenüber Vätern, sondern liegt im unmittelbaren Interesse der Kinder. Eine stabile, ernst genommene und gelebte Vaterrolle stärkt die emotionale, soziale und langfristige Entwicklung von Kindern – unabhängig davon, ob die Familie gemeinsam oder getrennt lebt.
Die Realität in Österreich zeigt jedoch, dass selbst dann, wenn Männer sich klar als Väter definieren, eine ausgeprägte Vateridentität besitzen und bereit sind, ihre Vaterrollen aktiv auszuüben, sie häufig dennoch ausgeschlossen werden. Der Fall OGH 3Ob91/25s (September 2025) verdeutlicht dies exemplarisch: Obwohl der Vater bereit war, Verantwortung zu übernehmen, wurde ihm die Möglichkeit zur aktiven Vaterrolle entzogen. Diese Praxis ist kein Einzelfall, sondern repräsentiert ein strukturelles Muster im österreichischen Familienrecht des Jahres 2025.
Diese Situation verlangt sofortige und entschlossene Veränderungen. Kinder können nicht warten, bis mehrere Generationen vergangen sind, um grundlegende Rechte auf beide Elternteile verwirklicht zu sehen. Das Wohlbefinden von Kindern ist eine unmittelbare Verpflichtung, keine langfristige Perspektive. Die wissenschaftliche Evidenz zur Bedeutung einer stabilen Vateridentität und aktiven Vaterrollen liegt klar vor, und ihr Nutzen für die kindliche Entwicklung ist umfassend dokumentiert.
Politische Entscheidungsträger und rechtliche Institutionen müssen daher umgehend handeln. Kein weiteres Kind und kein weiterer Vater sollte das erleben, was derzeit tausende betroffene Kinder und Väter in Österreich durchmachen. Die Verantwortung ist klar, die Belege sind eindeutig – und der Handlungsbedarf ist unmittelbar.
Zitation des vorgestellten Forschungsartikels:
Petren, R. E., & Ferraro, A. J. (2024). Fathers‘ status and role identities and involvement shortly after divorce. Family Relations, 73(2), 1401–1422. https://doi.org/10.1111/fare.12921
