Alte Rollenbilder von links? Helene Klaar und die verpasste Gleichstellung
In der ZIB2 History „Partnerschaft statt Patriarchat – 50 Jahre Familienrechtsreform“ zum Weltfrauentag am 8. März 2025 wurde auch ein Gespräch mit Scheidungsanwältin Helene Klaar geführt.
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Einstieg: Eine Frau, die Veränderungen hautnah miterlebt hat, ist die Rechtsanwältin Helene Klaar. Sie hat gerade erst die Anwaltsprüfung abgelegt und zu arbeiten begonnen, als ab MItte der 70er Jahre Reformen des Familienrechts in Kraft traten. Familienrecht war dabei gar nicht ihre erste Wahl. Sie wollte sich eigentlich auf Urheberrecht spezialisieren. Heute ist sie eine der bekanntesten Scheidungsanwältinnen Österreichs. Ich habe mit Helene Klaar über Ihre Eindrücke gesprochen.
Frage: Frau Doktor Klaar, wir befinden uns in Ihrer Kanzlei. Sie haben damals die Familienrechtsreform als junge Anwältin, als Mitbeteiligte in einer Frauenbewegung erlebt. Wie waren Ihre Eindrücke?
Klaar: Meine Eindrücke waren gespalten. Einerseits war natürlich die Familienrechtsreform ein riesiger Fortschritt. Und der erste Teil der Familienrechtsreform, das Gesetz über die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe, wurde ja gerade in Kraft gesetzt im Jahr 1976 und ich wurde als Rechtsanwalt eingetragen im Sommer 1976 – also das ist für mich zeitlich ideal zusammengefallen. Die Änderungen des Scheidungsrechts und des Kindschaftsrecht erfolgten dann ja erst 1978 – aber auch immerhin so, dass ich das in vollen Zügen genießen konnte. Erst wie die SPÖ eine parlamentarische Mehrheit hatte, konnte man solche Reformen andenken, wobei ich sagen muss, dass der damalige Justizminister Broda der Meinung war, dass ein Gesetz von so großer gesellschaftlicher Tragweite möglichst konsensual beschlossen werden soll. Und er hat also alle Änderungswünsche der Opposition ernst genommen und in sehr vielen Punkten auch nachgegeben. Was nicht zum Vorteil des Gesetzes war.
Frage: Wo hätte denn das Gesetz damals weiter gehen können, als es beschlossen wurde?
Klaar: Ja, man hätte von einem Ehemodell ausgehen können, wo beide einer Berufstätigkeit nachgehen und dafür beide in möglichst gleicher Weise sich an der Haushaltsführung beteiligen. Nun hat zwar die Familienrechtsreform vorgesehen, dass beide zur Führung des Haushalts verpflichtet sind, aber das ist schon eingeschränkt dadurch, dass derjenige, die den Haushalt führt, also nicht erwerbstätig ist, den Haushalt führt und der andere Teil ist lediglich zur Mithilfe verpflichtet. Also das schleppt diese Differenzierung zwischen nur Hausfrau schon mit sich. Und die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigt uns ja bis heute, dass noch immer überwiegend Frauen, egal ob berufstätig oder nicht, den Haushalt führen.
Frage: Es hat große Änderungen gegeben auch in den 70er Jahren im Scheidungsrecht. Sie wurden auch beauftragt, einen Scheidungsratgeber für Frauen zu verfassen. Sie selber waren dann auch gefragte Scheidungsanwältin. Was war dann so der große Unterschied zu der Zeit davor – wie haben die Frauen reagiert?
Klaar: Es war schon eine goldene Epoche für Frauen, die sich in der Ehe nicht mehr wohlgefühlt haben, weil die sich jetzt endlich rühren konnten und aus der Ehe streben. Und diese Bevormundung durch den Mann nicht mehr gefallen lassen mussten. Und es war dann nach 1976 schon ein gewisser Boom, dass berufstätige Frauen sich getraut haben, sich scheiden zu lassen, weil sie haben gewusst, der Mann kriegt für billiges Geld eine andere Wohnung und sie findet auf die schnelle einen neuen Job oder kann ihren Job von halbtags auf ganztags aufstocken. Damals waren die meisten Klientinnen älter als ich. Aber sagen wir, ich war 28, wie ich Anwältin wurde. Und meine Klientinnen waren irgendwo zwischen Mitte 30 und Mitte 40. Also schon lange genug verheiratet, um die Nase voll zu haben.
Frage: Wie bewerten Sie die Situation für Frauen heute?
Klaar: Schlecht. Schlecht. Eine Frau, die keinen Job hat und 40 ist, wird schwer einen finden. Einen, die halbtags arbeitet, wird wohl warten müssen, bis eine Kollegin in Pension geht, bevor sie ihre Arbeitszeit erhöhen kann. Und eine zweite Wohnung ist entweder in der Familie vorhanden oder Leute können sich eine Scheidung fast nicht mehr leisten, weil Wohnungen so teuer sind. Und es ist natürlich auch ein gesellschaftlicher Backlash, der Frauen zunehmend immer mehr benachteiligt.
Frage: Woran machen Sie das fest?
Klaar: Ja, so an diesem Kampf um die Kinder und den Kindesunterhalt, der momentan die Gericht beschäftigt. Wo um jede Stunde Unterhalt gefeilscht wird, damit der Geldunterhalt, den der Vater zu zahlen hat, möglichst gemindert wird. Was auch nicht so sehr im Sinne der Kinder ist, wie die Protagonisten dieser Regelung behaupten. Weil Kinder haben gerne ein Zuhause und nicht zwei. Auch wenn ich sehr dafür bin, dass Kinder von getrennten Eltern einen guten Kontakt zu beiden haben, aber guter Kontakt heißt keineswegs gleichteilig und es ist zwar nett, wenn das Kind den Vater nahezu gleichteilig sieht. Aber auf diese Weise sieht es halt auch die Mutter nur nahezu gleichteilig. D.h. jeder Elternteil ist eigentlich immer nur Zeuge und Gefährte der Hälfte des Lebens der Kinder. Und ich weiß nicht, ob das dem Bedürfnis der Kinder nach der steten Zuwendung einer Vertrauensperson wirklich so sehr entspricht. Außerdem ist es natürlich ein handfestes materielles Problem. Weil Frauen nach wie vor weniger verdienen als Männer. Wenn da jetzt noch am Unterhalt der Kinder gedreht wird, weil der Vater das Kind zwei Mal in der Woche zum Fußballtraining bringt, und damit angeblich den Nachmittag über Versorgung bietet, dann wird das zu einem handfesten finanziellen Problem für die Frauen. Abgesehen davon, dass sie nach dem Fußballtraining das verschwitzte Kind mit dem verschwitzten Gewand und dem verstauchten Fuß ohnedies zurückkriegen, weil dass dann von der väterlichen Leistung dann schon nicht mehr umfasst ist, das Kind und das Gewand zu waschen und Essigsäure Tonerde aufzulegen.
Frage: der kritische Blick der Scheidungsanwältin. Frau Doktor Klaar – vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch selbst trägt einen großen Widerspruch in sich:
Helene Klaar argumentiert gegen die Doppelresidenz, weil Kinder sich ihrer Meinung nach nur mit einer konstanten Bezugsperson gesund entwickeln können. Gleichzeitig warnt sie davor, dass Frauen nach einer Trennung in materielle Not geraten, wenn Unterhaltszahlungen wegfallen. Damit vermischt sie zwei Themen, die differenziert betrachtet werden müssen.
Die entwicklungspsychologische Forschung zeigt klar, dass die Doppelresidenz in vielen Fällen die beste Lösung für Kinder darstellt. Klaar blendet diese wissenschaftlichen Erkenntnisse jedoch aus – vermutlich, weil es ihr primär um das zweite Thema geht: den Unterhalt. Ihre Haltung trägt paradoxerweise dazu bei, traditionelle Rollenmuster zu zementieren, indem sie finanzielle Abhängigkeiten beibehält.
Stattdessen braucht es echte Chancengleichheit und langfristige Lösungen gegen Armutsrisiken. „Wir Väter“ haben daher beispielsweise Übergangsunterhaltszahlungen für ein bis zwei Jahre nach einer Trennung vorgeschlagen und fordern die Einführung der Familienarbeitszeit. Das bedeutet Begegnung auf Augenhöhe, wirtschaftliche Eigenständigkeit und aktive Armutsprävention – oder anders gesagt: eine wirklich feministische Haltung.
Wir brauchen ein Familienrecht, das von Gleichverantwortung ausgeht und sich von überholten Stereotypen löst. Dazu gehören unter anderem:
- Die gesetzliche Verankerung der gleichteiligen Doppelresidenz als Ausgangspunkt für Politik und Rechtsprechung nach einer Trennung/Scheidung
- Mindestens 10 Tage Betreuungszeit pro Monat für getrennte/geschiedene Väter.Gemeinsame Obsorge ab Anerkennung der Vaterschaft
- die Modernisierung des Familienrechts
- fachspezifische Fortbildungen für alle in den Trennungsprozess involvierten Berufe, orientiert an den Bedürfnissen moderner Familienmodelle
Es ist an der Zeit, das Kindschaftsrecht ins 21. Jahrhundert zu bringen. Dazu gehört, dass wir uns von antiquierten Vorstellungen verabschieden und eine moderne, gerechte Regelung für alle Beteiligten – insbesondere für die Kinder – schaffen.